Einmal im Jahr bricht die Ordnung zusammen

Der Lappe hat das Ren domestiziert - und hat so überlebt. Aber jetzt hat die Zeit den Lappen überholt. Kraftwerke, Flugplätze, Straßen sind in die Tundra gebaut worden, die brauchen viel Platz. Die Herden der Lappen brauchen auch viel Platz. Kraftwerke aber sind heutzutage wichtiger als Rentiere, auch Flugplätze sind wichtiger.

Vor hundert Jahren noch hatte der Lappe vom Rentier alles: Fleisch, Milch (Käse), das Fell für Kleider. Er verwertete alles, bis zum letzten Knochen. Und er selber war ein nomadisierender Hirte, anspruchslos. Heute? In einem noch so einfachen massiven Haus mit Elektroheizung wohnt es sich angenehmer als in einer Erdhütte. Dazu: Fernseher, Auto, Neonlicht, für die Kinder eine ordentliche Ausbildung in der Schule. Das alles kostet Geld, und Geld bringt der Fleischverkauf. Mehr Fleisch bringt mehr Geld; der Lappe wurde zum Viehzüchter mit wechselndem Wohnsitz, die Herde zu einer Fleischfabrik.

Jäger - Hirte - Unternehmer. So hat sich das alles verändert. Das Rentier als beschwörendes Zeichen auf einer Schamanentrommel - das Rentier als Gefährte, Inhalt von Legenden und Liedern - das Rentier als Rohstoff einer "reindeer industry", der Rentier-Industrie.

Aber einmal im Jahr bricht die neue Ordnung zusammen. Beim "Renskillning". Wenn - im Winter - aus der großen Herde die Schlachttiere (etwa jedes fünfte Ren) aussortiert werden. Da wird die Herde der panischen Rentiere zum Hexenkessel. Graue Tierkörper und Trachtenlappen kreisen, Lassos sirren, Geweihstangen fliegen. Da ist alles ungezügelt, ausgebrochen, wild - wild, wie sie immer waren.

Rast bei der Wanderung
Rast bei der Wanderung: das Leben der Berglappen spielt sich die meiste Zeit des Jahres bei Temperaturen unter Null Grad ab.
Huftiere