Die Wut des Tieres

Jetzt regte sich etwas in dem Jungen: eine Warnung durchdrang Muskeln und Haut. Er sprang auf, stürzte in einem Satz an das andere Ende des Abteils; er wußte nicht, daß er einen schrillen Schrei ausstieß. Aber den Kopf halb zurückgewandt, konnte er den Blick nicht von der Kobra wenden. Irgendwie ahnte er auch, daß er die Wut des Tieres geweckt hatte. Die Kobra wand sich aufgeregt und ließ ihren Kopf in seine Richtung schießen. Er sah, wie sich der Hals dehnte, seine Haut böse aufschwoll und eine Haube bildete, in der zwei klopfende Flecken glänzten.

Der Mann summte immer noch. Aber jetzt war von seinen Augen nur noch ein Spalt zu sehen, sie schienen sich mit ganzer Aufmerksamkeit auf die Schlange zu konzentrieren. Und in sein Summen hatte sich ein neuer Ton herrischer Entschlossenheit eingeschlichen. Er sprach mit der Schlange, bestätigte sie in ihrem Recht, wütend zu sein, glättete zugleich ihre Wut und zeigte ihr unaufhörlich mit sanfter Eindringlichkeit, daß er der Herr sei.

Und die Schlange beruhigte sich. Ihr seltsam erhobener Hautkragen versank wieder im Hals, ihr Kopf stieß nicht mehr nach vorn. Das Summen ging über in ein Schlaflied. Der hochgereckte, braune Körper der Schlange fiel langsam zurück. Ihre Haut verlor den Glanz und erschlaffte. Die Gefahr verlor ihre Drohung. Der Fremde verdeckte den Korb und sicherte ihn mit einem durchgezogenen Stab.

Ärgerlich wandte er sich dem Jungen zu. Er gab einen verächtlichen Laut von sich, wie ein Zischen. "Ich zeige dir Kobra, du schreist und läufst weg, und Kobra wird böse." Es war mehr Tadel als Zorn. Aber sein braunes Gesicht zog sich verkniffen zusammen. Erst nach einer Weile hatte er sich wieder gefaßt und gab eine vernünftige Erklärung: "Ich singe, damit Kobra bleibt ruhig. Kobra nicht gern auf Fahrt in Zug."

Der Junge blieb starr. "Du magst nicht Kobra?" fragte der Mann, überrascht und verletzt. "Liebe Schlange, kein Gift, aber mag nicht, wenn du läufst weg und schreist."

Jahrhunderte und weit voneinander entfernte Kontinente lagen zwischen dem Älteren und der stummen Zurückweisung des Jungen. Der Fremde fragte nun besorgt: "Du nicht gehst zu Jahrmarkt in Newport? Du willst mich nicht sehen? Ich Ali der Schlangenbeschwörer. Du kommst zu mir ohne Geld und siehst, wie Kobra tanzt."

Der Zug fuhr langsam in den Bahnhof ein. Es war nicht der Bahnhof des Jungen. Doch er tat einen Satz, öffnete die Tür, sah, daß er auf der falschen Seite war, sprang aber trotzdem. Er lief die Schienen entlang und schlüpfte unter einer Absperrung hindurch. Er lief mit kurzen und schnellen Sprüngen wie ein Hase, der mitten unter den ungeheuren Gefahren der freien Wildbahn den Wert seines Lebens kennt.

Tiergeschichten