Geheimnisvolle Fußspuren

Im Jahr 1921 schickte Colonel Howard Bury, Leiter der ersten englischen Mount-Everest-Expedition, ein Telegramm nach London: Er hatte in 4700 Meter Höhe am Lakhpa-La-Paß geheimnisvolle Fußspuren gefunden, die offensichtlich weder von einem Yak, einem Wildesel, dem Moschustier, auch nicht von Affen oder Bären stammten. Seine Träger, die Sherpas, erregten sich sehr über die Spuren und sprachen vom Metch-Kangmi.

1924 sah wieder ein Gipfelstürmer, A. N. Tombazi, Spuren in 5300 Meter Höhe am Zemu-Paß. Und: Tombazi sah die Kreatur -"zweihundert bis dreihundert Meter weiter unten im Tal, wie ein menschliches Wesen, das sich von Zeit zu Zeit bückte, um ein Büschel Zwergrhododendron auszureißen".

1937 schickte der Engländer F. S. Smythe die ersten Fotos der Fußspuren und ein von seinen Trägern beglaubigtes Zeugnis: "Die gefundenen Spuren gleichen völlig denen des uns bekannten Metch-Kangmi."

Wenigstens ein halbes Dutzend Europäer hatten mittlerweile solche Fußstapfen gesehen, beschrieben, gemessen. Bei Tombazi waren sie "oval, nicht länger als 20 Zentimeter". Die von Smythe gingen über 40 Zentimeter.

1951 lief Eric Shipton, wieder ein englischer Himalaja-Kletterer, in rund 6000 Meter Höhe am Menlung-Gletscher über neue Spuren im ewigen Schnee: 32 Zentimeter lang, 13 Zentimeter breit. Die "Times" veröffentlichte das Foto mit einem neben den Abdruck gelegten Eispickel. Die Spuren waren etwa gleich lang wie der Eisenteil.

Die "Kreatur" blieb weiterhin unsichtbar. Kein Foto gab es von ihr.

1952 fanden Schweizer im Himalaja die Spuren einer ganzen Yeti-Kolonne. 1959 hatten auch Italiener Yeti-Spuren gesehen. 1960 entdeckte Edmund Hillary sie. 1972 maß Edward W. Cronin Jr. sie mit 23 Zentimeter Länge, 12 Zentimeter Breite und nur 30 Zentimeter Schrittlänge. 1974 waren auch japanische Alpinisten fündig geworden.

Die Namensliste ist - natürlich - nicht vollständig. Gut und gern drei oder auch vier Dutzend Europäer haben bislang angegeben, die Spuren gesehen zu haben. Einige haben Fotos als Beweis vorgelegt, auch Gipsausgüsse. Andere haben hoch und heilig geschworen; etliche hatten ganz einfach einen guten, ehrenwerten Namen.

Sie waren indes alle, Cronin ausgenommen, keine Zoologen oder Anthropologen. Sie lieferten den Zoologen daheim nur Material, offenbar nicht gut genug, nicht ausreichend jedenfalls für die Existenz einer solchen "Kreatur". Denn die Zoologen haben seit 1921 ihre Meinung im Grundsatz nicht korrigiert: Es gibt keinen Schneemenschen im Himalaja!

Den Spurensuchern haben sie andere Deutungen angeboten, die dann wieder von anderen verworfen wurden. Hanuman- oder Langur-Affen (oder angepaßte Abarten von ihnen) sollten die Spurentreter gewesen sein. Oder auch eine Bärenart, der Schneeleopard und schließlich gar nur noch ein Pfeifhase, dessen eng beieinanderliegende Pfotenspuren durch die starke Sonneneinstrahlung und Ausschmelzung zu übermäßig großen Abdrücken zerlaufen sein sollten. Dr. Lawrence Swan von der Hillary-Expedition 1960/61 hat das auch so beobachtet: "Kleintierspuren werden, wenn sie vom Schatten in die Sonne wechseln, zu Yeti-Stapfen, die sich in die Richtung der Nachmittagssonnenstrahlen verlängern."

Die Spuren? Sie beweisen demnach nichts.

Tiergeschichten