Wechselnde Rangfolge macht jeden Fresser satt

Welche wichtige Rolle der Hunger bei der Rangfolge am Aas spielt, kann man häufig sehr schön zu Beginn der Geiermahlzeit beobachten.

Wenn nämlich mehrere Geier in Kadavernähe gelandet sind, so fällt meist ein Vogel durch besonders ausgeprägte Drohgesten gegenüber seinen Artgenossen auf. Dieser "Dominierende" beginnt auch als erster am Kadaver zu fressen. Nach nicht allzu langer Zeit nähern sich dann weitere Einzelvögel, von denen einer den "Dominierenden" entweder angreift oder durch intensives Drohen zum Rückzug zwingt. So wechselt die Vorherrschaft am Kadaver ständig.

Geier sind als Aasfresser auf Großtierkadaver angewiesen. Die aber gibt es nicht jederzeit und nicht in jeder Menge. Mit der Freßhierarchie, die bei jeder Geiermahlzeit neu aufgebaut und durch den Hunger gesteuert wird, ist eine etwa gleichmäßige Sättigung der versammelten Vögel gesichert, was bei einer von vornherein festgelegten Rangfolge keineswegs der Fall wäre.

Wo Kadaver in größerer Zahl anfallen, wie dies in einigen Gebieten Afrikas und Asiens der Fall ist, leben auch heute noch große Geierbestände. Vor allem in wildreichen Gegenden kann man beobachten, dass Geiertrupps den ziehenden Herden folgen, um sich an verendeten Tieren (vor allem an jungen) und Nachgeburten zu sättigen. Auch von Kriegen vergangener Jahrhunderte in Ostafrika wurde berichtet, dass riesige Geierscharen den Heereszügen folgten und sich von Leichen ernährten. Auch heute noch gibt es Geierkonzentrationen an den Stellen, an denen regelmäßig Futter dargeboten wird. So geschieht dies in Spanien an bestimmten Futterplätzen, wo Tierkadaver, die nicht mehr verwertet werden können, von Naturschützern ausgelegt werden. An Müllplätzen und Abdeckereigruben sammeln sich Geier und warten auf Nahrung. Dasselbe gilt für Kultstätten, an denen man menschliche Leichen von diesen Vögeln verzehren läßt.

Wollkopfgeier und Weißrückengeier
Hier attackiert ein Wollkopfgeier (Trigonoceps occipitalis) einen Weißrückengeier, um ihm einen Fleischbrocken wegzunehmen. Rechts sieht man einen noch nicht ganz ausgefärbten Wollkopfgeier.
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