Alexander und der Gordische Knoten

Dass auch der Gordische Knoten indirekt mit dem Adler zu tun hat, ist nur wenig bekannt.

Vögel
Kaiseradler

Da man ohne Hochmut sagen kann, dass nur wenige Menschen wissen, was der Gordische Knoten überhaupt verknotet, wollen wir den Adler zum Anlaß nehmen, diese Bildungslücke zu schließen - selbst auf die Gefahr hin, dass die Auskunft recht prosaisch ist.

Also: Das Joch, das das Pferdepaar vor dem Wagen des phrygischen Königs Gordios vereinigte, war durch ein Seil mit der Deichsel des Wagens verbunden. Dieses Seil war in einen so kunstvollen Knoten verschlungen, dass er als unauflösbar galt. Das war eine sehr sinnvolle Handwerksleistung; denn was passiert wäre, wenn sich des Königs 2PS-Antriebsaggregat im Kampf vom Wagen getrennt hätte, kann sich jeder Leser denken. Alexander der Große durchhieb nun, statt über die Auflösung des Knotens nachzudenken, mit einem Schwertstreich diese antike Kardanwelle und machte sich damit zum symbolischen Besitzer des phrygischen Reichs.

"Und der Adler?" werden Sie fragen. Nun, der Adler schwebte als Zier über dem Joch und damit über den beiden Pferden. Gordios hatte diesen Schmuck seinem Rivalen, einem der persischen Könige mit Namen Darius, abgeschaut. Als seine Pferde nach Alexanders Schwerthieb mit den flügelschlagenden Adlern davonrannten, war der Augenblick gekommen, da dieser Vogel als Wappentier seinen Einzug in Europa hielt.

Wenn Sie, lieber Leser, immer noch denken, das sei ein weit hergeholtes Beispiel und die Phrygier seien ein lumpiges Völkchen, dann vergessen Sie nicht, dass die Jakobinerrnütze, dieses Wahrzeichen der Französischen Revolution, auch aus Phrygien stammt. Fragen Sie mich aber bitte nicht, warum und wie! Jedenfalls hatten die Franzosen schon immer ein seltsames Interesse für diese Ecke der Welt. Denn zehn Jahre nach dem Import der phrygischen Mütze adoptierte Napoleon Alexanders Wappenadler und verhalf ihm auf den Schlachtfeldern Europas zu ebenso großem Ruhm wie einst Alexander auf den Kampfplätzen Asiens.

Von sogenannten Verwandlungssagen erwähnen wir nur eine: die den König Merops von der griechischen Insel Kos an den Himmel versetzte und somit die Entstehung des Sternbilds des Adlers erklärt. Sicher ist das nicht die einzige mythologische Erklärung für das Sternbild. Aber vielleicht ist es die älteste. Denn Atair, "der fliegende Adler", wird es erst seit dem 10. Jahrhundert genannt.

Ein Adler kommt auch in einem der griechischen Heldenlieder vor, das den Untergang der Messenier durch die Hand ihrer unbarmherzigen Nachbarn, der Spartaner, schildert. Die stießen ihre gefangenen Feinde der Reihe nach in einen Abgrund, um sich weitere Mühe zu sparen. Als zuletzt der Anführer Aristomenes an die Reihe kommen sollte, hatte Zeus Erbarmen und schickte seinen Adler, um ihn zu retten. Der Todgeweihte schwebte bereits über dem Abgrund, als ihn der Adler im Fall auffing und sicher auf die andere Seite trug. Sie sehen, welche Wunder früher eingesetzt wurden, um einen einzigen Menschen zu retten!

In der Traumdeutung spielt der Adler bei den Griechen ebenfalls eine wichtige Rolle. Vielleicht erinnern Sie sich an den Traum der Penelope von dem Adler, der ihre lieben Gänse tötete. Als wahrsagendes Tier tritt der Adler bei Homer noch einige Male auf. Einmal erscheint den Troern ein Adler im Kampf mit einem Lindwurm. Darauf unterlassen sie voller Schrecken ihren Angriff auf die griechischen Schiffe. In ähnlicher Rolle erscheint er den Freiern der Penelope, die darauf von der Ermordung ihres Sohnes Telemach absehen und sich zum letzten ihrer lecker bereiteten Mahle niederlassen, bei dem sie von dem verkleideten Odysseus der Reihe nach abgeschossen werden.