Angriffslustiger als Löwen
Der Belichtungsmesser zeigte die jeden Fotografen enervierenden Werte von zehn Sekunden bei offener Blende 2.8. Es blieb also nur der Blitz.
In einer Entfernung von höchstens fünf Metern musste die Sache passieren, oder ich war umsonst hierher gefahren. Was tut man? Man benimmt sich albern, man piepst, man miaut, man pfeift wie ein Mäuschen. Die Wildkatzen halten einen - mit Recht - für nicht normal und bleiben fort.
Doch da kommt der Professor, lächelt uns an und entfernt sich; er kommt wieder und hält versonnen eine lebende Ratte am Schwanz. Er tritt ans Gitter des Wildkatzenurwalds und murmelt leise Beschwörungsformeln. Und da passiert es: Aus dem Geäst des Baumes über uns löst sich plötzlich ein Wildkater, springt unhörbar auf den Boden und schnürt durchs hohe Gras heran. Er schlägt mit seiner dunkelgeringelten Lunte, legt fauchend und angriffslustig die Ohren zurück. Klar, dass der Professor keine Fremden ins Wildkatzengehege lassen kann - die Tiere würden angreifen. Ich weiß das von den Tierpflegern im Zoo: Sie gehen weit lieber zu den zentnerschweren Löwen in den Käfig als zu den lächerlichen zehn Pfund Wildkatze im Kleinraubtierhaus. Kleinkatzen sind von Natur leicht reizbar, dazu noch "Angstbeißer", weit aggressiver als so ein gelber Bettvorleger aus der Serengeti.
Wir haben unsere auf diesen Seiten gezeigten Fotos - bis auf eines - mit freundlicher Hilfe des Wildkatzenprofessors aus Nancy gemacht. Monsieur Conde lockte mit der lebenden Ratte, die Tiere kamen in langen Sätzen herbei und zeigten fauchend das respektable Gebiss. Die Kätzin holte sich die Ratte und verschwand lautlos. Das Geschrei in der Kinderstube bewies, wohin die Beute gebracht worden war.
Wildkatzen-Babies sind zutraulich und brav
Immer wieder tauchen in Forsthäusern junge Wildkatzen auf, die von den Försterskindern aufgepäppelt werden. Nun sieht ein Wildkatzenjunges wie ein graugetigertes Hauskatzenbaby aus, und man versteht, dass es zum Mögen und Bemuttern herausfordert. Eine Zeitlang geht das auch gut - das Kätzchen miaut zutraulich und nuckelt brav am Fläschchen. Das ist die Szene, von der dann ein Bild in der Heimatpresse erscheint mit der Feststellung, dass es gelungen sei, eine Wildkatze zum Haustier zu machen. Aber später hört man nie mehr etwas davon. Zwar leben in so manchem Förstersgarten zahme Rehe oder zutrauliche Wildschweine, doch wohl nie wird eine Wildkatze im Wohnzimmer auf einem bestickten Sofakissen schlafen. Wildkatzen werden nie völlig zahm. Auch bei handaufgezogenen Jungtieren bricht eines Tages die Wildheit durch, und sie lassen sich nicht mehr anfassen, ohne zu kratzen, zu fauchen oder zu beißen.
Eine rechte Wildkatze schnurrt nur in Freiheit.