Das Lieblingstier der Aphrodite

Im klassischen Griechenland ist nicht oft von Gänsen die Rede. Daß die Gans der Göttin Aphrodite geweiht war, ist wohl asiatischem Einfluß zu verdanken. Als Symbol der Gattentreue und der ehelichen Liebe wird sie auf Grabsteinen abgebildet. Dieser Einfluß wirkt auch bestimmend auf das religiöse Bild der Gans im alten Rom.

Daß die Römer der Gans im täglichen Leben ebenfalls mit Respekt begegneten, beweist der mit dem Beiwort "Anser" versehene Name eines römischen Dichters. (Auch Johannes Gutenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst, hat ursprünglich Gensfleisch geheißen. Wann man begonnen hat, sich dieses Namens zu schämen, ist nicht bekannt.) Die Gans hatte für Griechen und Römer einen erotischen Reiz. Sie wird oft mit dem kleinen Tunichtgut mit Pfeil und Bogen abgebildet. Als Lieblingstier der Aphrodite symbolisiert sie das traute Familienleben und die Erzeugung von Nachkommen. Die Götter Dionysos und Priapos machen diese Rolle der Gans noch eindeutiger.

Nicht den ehelichen, sondern den wirklichen Kampf meinten die Römer allerdings, wenn sie die Gans ihrem Kriegsgott Mars zuordneten. Das muß nach der kriegsentscheidenden Heldentat der Gänse auf dem Kapitol geschehen sein. Wie man in den Geschichtsbüchern liest, weckte das Geschnatter der Gänse die römische Besatzung in der Burg auf dem Kapitolinischen Hügel, so dass sie die nächtlichen keltischen Angreifer gerade noch vertreiben konnte. Wie die Gänse überhaupt auf das Kapitol kamen, ist eine wissenschaftliche Streitfrage. Wir modernen Menschen schauen mit Wehmut auf das Jahr 390 v. Chr. zurück, als der Stückpreis für ein militärisches Frühwarnsystem noch bei 100 römischen Denaren lag.

Die Gans als Schwimmvogel mußte ihr Konterfei dafür abgeben, dass die römischen Schiffe vor dem Untergang bewahrt wurden. Das Heck wurde stets durch einen Gänsehals aus Gold oder Blei geschmückt.

Die Römer erinnerten sich auch wieder an die fleischlichen Genüsse der ägyptischen Priester. Wie groß ihre Vorliebe für Gänsebraten war, beweisen die zahllosen Anmerkungen über Gänsezucht in der römischen Literatur. Während aber gewöhnliches Gänsefleisch als ordinäre Speise angesehen wurde, war eine Mastgans die Gaumenfreude der Schlemmer. Als besondere Delikatesse galt die Leber einer Mastgans. Die durchs Mästen vergrößerte Leber wurde in eine Mischung von Milch und Honig gelegt. Dieses Rezept schreibt man zwei römischen Gourmets zu, die um 50 v. Chr. lebten und große Gänseherden besaßen. Den Schlußpunkt dieser Entwicklung markiert Kaiser Heliogabal, der seine Lieblingshunde mit Gänseleber fütterte.

In Caesars "De Bello Gallico", einem Werk, das alle Gymnasiasten auf dem Weg zur mittleren Reife zu begeistern hat, steht im 12. Kapitel des 5. Buches, die Briten würden sich scheuen, Hasen, Hühner und Gänse zu essen, und sich nur an ihrem Anblick erfreuen - wie schon Penelope. Wir dürfen vermuten, dass hier der Ursprung der sprichwörtlichen englischen Tierliebe zu suchen ist, die offensichtlich ein keltisches Erbe ist.

Übrigens trugen auch die Germanen zu ihrer Zeit dazu bei, dass die Gänse nicht ausstarben. Doch war bei ihnen ein starkes merkantiles Interesse nicht zu übersehen. Es gibt zwei wichtige Sachen, die die Germanen der Zivilisation der Antike geschenkt haben: die Seife und die Daunen. Die weißen germanischen Gänse waren bei den Römern äußerst beliebt. Für sie galt deshalb auch nicht der lateinische Name für die Gans ("anser"); man nannte sie in Anlehnung an das deutsche Wort "gantae".

Ob wir außer den Daunen unseren Germanen - etwa den Goten - auch die Erfindung des schreibenden Gänsekiels (also die Schreibfeder) zurechnen dürfen, ist ungewiß. Auffallend ist nur, dass davon zuerst unter dem Ostgotenkaiser Theoderich von Ravenna berichtet wird und auch der gelehrte Isidor von Sevilla, der unter den spanischen Westgoten lebte, davon zu erzählen weiß.

Knabe mit der Gans
"Knabe mit der Gans", die römische Kopie einer griechischen Plastik aus dem 3. jahrhundert v. Chr. (in der Münchner Glyptothek)