Lebender Pfahl

In ihrer Familie nennt man sie "Liliputaner". Trotzdem zeigen sie das Gehabe großer Reiher und noch einige Spezialitäten dazu. Wie Pfähle stehen sie im Schilf. Und sie können am Schnabel erröten.

Zwergdommel
Zwergdommel

Der Mann vor mir, amtlicher Beringer der Vogelwarte Radolfzell, hatte mein schweres Stativ auf der Schulter und schob sein breites Kreuz durch das moorbraune Wasser. Wir arbeiteten uns durch den Schilfurwald eines oberschwäbischen Rieds, zogen bei jedem Schritt mühsam die schlammschmatzenden Hüftstiefel aus der Torfbrühe und fluchten immer wieder, wenn auch leise, auf die Schwärme von Schnakenweibern, die sich auf der Nase, an den Ohren und im Nacken verlustierte, ohne dass man eine Hand frei gehabt hätte, um die Viecher zu erschlagen.

Wir versuchten. Kameras, Blitz und Stativ einigermaßen trocken zu jener Stelle im Schilf zu bringen, wo ein Beobachtungs- und Fotozelt stehen sollte. "Sehr komfortabel", sagte der starke Mann vor mir. Er hieß Mörike wie der schwäbische Dichter.

Nun mag ich Vogelfotos, die am Nest entstanden sind, im Grunde gar nicht. Der Fotograf nützt dabei eine Zwangssituation des Tieres aus (das ja zu seinen Eiern oder Jungen zurückkommen muss) und benimmt sich nicht anders als ein Fallensteller; an solchen Nestfotos kann man sich eigentlich nicht freuen. Die Auffassung, die Fotos von Vögeln am Nest in Acht und Bann tut (und bei seltenen Arten glattweg verbietet), verdient grundsätzlich Zustimmung. Nestfotografie ist "fotounweidmännisch", und sie richtet, weil es eine Unmenge Tierfotografen jeder Couleur gibt, durch die Störung der Brutvögel oft Schaden an.

Nur in einem Fall ist eine Fotoserie am Vogelnest zu verantworten: Wenn es nicht bloß darum geht, den Vogel aus der Nähe zu erwischen, sondern ein eigentümliches Verhalten bei der Jungenaufzucht zu dokumentieren. Und auch dann nur, wenn dieses Vorhaben wissenschaftlich legitimiert ist. Es ist völlig sinnlos (außerdem verboten) zu versuchen, in den Schilfwald eines Gewässers einzudringen, um Nester von Zwergdommeln zu finden. Die Vögel sind viel zu heimlich und zu scheu, um sich von einem durchs knackende Schilf brechenden Mann anpirschen zu lassen.

Wir hatten uns herangearbeitet. Zwischen den Schilfstengeln tauchte, nur noch wenige Meter entfernt, das kleine, tarnfarbene Zelt auf. Wir hörten ein lautes "gäck gäck", ein Flügelschlagen. "Sie ist weg!" sagte Herr Mörike und half mir ins Versteck. Dann stapfte er ostentativ wieder zurück.

Dafür, dass das Zelt kniehoch im Moorwasser stand, war es wirklich komfortabel eingerichtet. Man musste nicht darin stehen, was zu erwarten gewesen wäre, sondern konnte sich, nachdem Stativ und Kamera aufgebaut waren, auf eine hochkant gestellte Kartoffelkiste setzen. Zwar sank die Kiste unaufhaltsam in den Schlamm ein, aber das half gegen Ermüdungserscheinungen. Immer wenn der Hosenboden nass wurde, musste ich aufstehen, um die Kiste wieder hochzuhieven. Auch das Stativ hatte stets den Drang, im Moor zu versinken, und verlangte, dass ich dauernd Entfernung und Bildausschnitt korrigieren musste.