Der Delphin spielte Postbote

Selbst ernsthafte Fachleute gerieten beinahe in eine Art Freudentaumel, als beim Unternehmen Sea Lab - einem Forschungsprojekt, in dessen Verlauf eine Froschmännergruppe einige Zeit in einem unterseeischen Labor etwa 70 Meter tief auf dem Meeresboden zubrachte - ein Delphin als Postbote fungierte und nach ziemlich umständlicher Dressur ein paar Nachrichten und Geräte nach unten oder oben transportierte.

Die tollsten Science-Fiction-Visionen wurden an diesen Vorgang geknüpft. Man sah Delphine bereits als künftige Wächter unterseeischer Paradiesgärten, als Pfadfinder für Vorstöße in die Tiefsee (für die sie übrigens nicht gebaut sind) und ähnliches mehr, obwohl man die vollbrachte Leistung problemloser mittels eines Bindfadens hätte erledigen können und Vergleichbares von jedem Jagdhund bei der Bringtreue-Prüfung verlangt wird.

Delphin
Delfin

Ich habe die leise Befürchtung, dass einen guten Teil Schuld an der nun schon seit Jahren herrschenden, schier überschäumenden Delphinbegeisterung oder Delphinitis das fröhliche Aussehen, die Beweglichkeit und Spiellust unseres Flippers haben. Ich will ihn beileibe nicht schlechtmachen, aber doch darauf hinweisen, dass seine hochgezogenen Mundwinkel halt in dieser Form gewachsen sind und es eben nur so ausschaut, als ob er beständig lächele. Ein Delphin ist genausowenig dauervergnügt, wie ein Kamel - seiner hängenden Mundwinkel halber - dauerhochnäsig ist. Und wer das Lied vom "besten Freund" im Ohr hat und in unser Delphin-Bassin steigt, der würde sich schön wundern, wie unsanft, aber rasch ihn besagter Freund unter Umständen hinaus aufs Trockene befördern würde!

Ich muss oft ein bisschen lächeln, wenn ich in der neuerscheinenden zoologischen Literatur fast immer nur auf Autoren treffe, die mehr oder weniger zufällig Gast in einem Delphinarium waren, dann aber sofort "Freundschaftsbünde" schlössen und - man staune - von den Tieren zu Ballspielen und ähnlichem "aufgefordert" wurden. Delphine spielen nun einmal gern, beschäftigen sich gern - ganz einfach, weil sie schon durch ihre Natur als Wassertier Kapazitäten für diesen Luxus frei haben, den sich Landtiere und Menschen in der Regel nur im Babyalter leisten können. Robben, Delphine, Fischotter (und sogar manche würdigen Erwachsenen, sobald sie ins Schwimmbad kommen) springen, spielen und balancieren, weil ihnen das Wasser einen Großteil der Arbeit abnimmt, das eigene Gewicht zu tragen. Auf dem Land wäre von diesem Spieltrieb kaum etwas zu spüren, und mit herzerwärmender Freundschaft braucht er erst recht nichts zu tun zu haben.

Im freien Meer lebt der Delphin im großen und ganzen nicht viel anders als ein großer Fisch: Er schwimmt - vorzüglich übrigens - umher und fängt kleine Fische, um sie zu fressen. Er ist ein sehr soziales Tier: Er schätzt den Kontakt zu Artgenossen und führt in der Gruppe die exaktesten Simultan-Schwenkungen aus. Aber das tun Herings- oder Starenschwärme letztlich auch. Delphine helfen einander. Sie stützen zum Beispiel unter gewissen Umständen verletzte Kollegen (wie es Elefanten und andere Tiere ebenfalls tun), und sie retten unter Umständen auch einmal einen ertrinkenden Menschen.

Im Augenblick lassen wir es am besten auf sich beruhen, ob man hier wirklich von "retten" sprechen oder daran erinnern will, dass Delphine außer toten Artgenossen und neugeborenen Jungen oftmals auch Treibholzstücke, alte Schwimmwesten und Ähnliches an der Wasseroberfläche vor sich herstupsen, und dass sich unsere Weißwale, aus was für Gründen auch immer, voller Ausdauer Eisschollen, aber auch Türen oder alte Bretter auf den Rücken laden.

Man muss fragen, ob es - wenn wir nicht gleich in mystische Schwärmereien über uralte Wesensverwandtschaft und innige Liebe abschweifen wollen - unbedingt für hohe Intelligenz spricht, wenn ein Delphin etwas für ihn bislang fast nur Nachteiliges, nämlich einen Menschen, "rettet". Ob es ferner so ungeheuer intelligent ist, wenn sich die den Delphinen nächstverwandten Grindwale alljährlich herdenweise in bestimmte Färöer-Fjorde locken und dort unbeirrt von brodelnden Blutwolken ebenso herdenweise abschlachten lassen.