Schupp

Autor: Ludwig Beckmanns

Ein Waschbär namens Schupp, welcher nebst anderen gezähmten Vierfüßlern auf unserem Gehöfte gehalten wurde, hatte eine besondere Zuneigung zu einem Dachse gefasst, der in einem kleinen, eingefriedeten Raume frei umherwandelte.

Schupp
Tiergeschichten

An heißen Tagen pflegte Grimbart seinen Bau zu verlassen, um auf der Oberwelt im Schatten eines Fliederbusches sein Schläfchen fortzusetzen. In solchem Falle war Schupp sofort zur Stelle; weil er aber das scharfe Gebiss des Dachses fürchtete, hielt er sich in achtungsvoller Entfernung und begnügte sich damit, jenen mit ausgestreckter Pfote in regelmäßigen Zwischenräumen leise am Hinterteil zu berühren. Dies genügte, den trägen Gesellen beständig wach zu erhalten und fast zur Verzweiflung zu bringen. Vergebens schnappte er nach seinem Peiniger: der gewandte Waschbär zog sich beiseite, auf die Einfriedung des Zwingers zurück, und kaum hatte Grimbart sich wieder zur Ruhe begeben, so begann ersterer seine sonderbare Tätigkeit aufs neue. Sein Verfahren hatte keineswegs einen Anstrich von Tücke oder Schadenfreude, sondern wurde mit gewissenhaftem Ernst und mit unerschütterlicher Ruhe betrieben, als hege er die feste Überzeugung, dass seine Bemühungen zu des Dachses Wohlergehen durchaus erforderlich seien.

Eines Tages ward es letzterem doch zu arg, er sprang auf und rollte verdrießlich in seinen Bau. Der Hitze wegen streckte er den bunten Kopf aber bald wieder aus der engen Höhle heraus und schlief in dieser Lage ein. Schupp sah augenblicklich ein, dass er seinem Freunde die üblichen Aufmerksamkeiten in dieser Stellung unmöglich erweisen konnte, und wollte eben den Heimweg antreten, als der Dachs zufällig erwachte und, seinen Peiniger gewahrend, das schmale, rote Maul sperrweit aufriss. Dies erfüllte unsern Schupp dermaßen mit Verwunderung, dass er sofort umkehrte, um die weißen Zahnreihen Grimbarts von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in seiner Stellung und steigerte hierdurch die Neugierde des Waschbären aufs äußerste. Endlich wagte Schupp, dem Dachse vorsichtig von oben herab mit der Pfote auf die Nase zu tippen - vergebens, Grimbart rührte sich nicht.

Der Waschbär schien diese Veränderung im Wesen seines Gefährten gar nicht begreifen zu können, seine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblick; er musste sich um jeden Preis Aufklärung verschaffen. Unruhig trat er eine Weile hin und her, augenscheinlich unschlüssig, ob er seine empfindlichen Pfoten oder seine Nase bei dieser Untersuchung aufs Spiel setzen sollte. Endlich entschied er sich für letzteres und fuhr plötzlich mit seiner Schnauze tief in den offenen Rachen des Dachses.

Das Folgende ist unschwer zu erraten. Grimbart klappte seine Kinnladen zusammen, der Waschbär saß in der Klemme und quiekte und zappelte wie eine gefangene Ratte. Nach heftigem Toben und Gestrampel gelang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des Dachses zu entreißen, worauf er zornig schnaufend über Kopf und Hals in seine Hütte flüchtete. Diese Lehre aber blieb ihm lang im Gedächtnis, und sooft er an dem Dachsbau vorüberging, pflegte er unwillkürlich mit der Tatze über die Nase zu fahren.