Die Werte der Evolution sind relativ

Wir müssen uns aber bewusst bleiben, dass diese Feinfühligkeit für die Verschieden-Wertigkeit des Lebendigen die Frucht hoher Kultur und genaueren Wissens über das Wesen der Evolution ist. Kulturelle Tradition spielt bei diesen ethisch-ästhetischen Wertempfindungen eine große Rolle, so findet man beispielsweise bei romanischen Völkern oft eine erstaunliche Verständnislosigkeit für tierisches Leiden, und Menschen, die durchaus gutherzig sind, können erschreckend hartherzig gegen Tiere sein - in Italien zum Beispiel gegen Zug- und Reittiere.

So deutlich wir die Stufen des Wertes empfinden, die von niedrigeren zu höheren Lebewesen emporführen, so schwer ist es, zu definieren, was das "Niedrigere" und was das "Höhere" eigentlich ist. Es liegt nämlich grundsätzlich jenseits der Möglichkeit quantifizierender Naturwissenschaft, Werte zu definieren. Werte kann man nur empfinden! Außerdem sind die Werte der Evolution niemals absolut, sondern immer nur relativ. Wenn Sie unter dem Mikroskop das Myzel eines Pilzes, des sogenannten Mehltaus, betrachten, ist es ein wunderhübsches Gebilde, wenn Sie es aber auf der Rose wachsen sehen, die von diesem Pilz befallen ist, erscheint er Ihnen als eine widerliche Krankheit, und Sie werden den Pilz bedenkenlos abtöten, um die Rose zu retten.

Teilhaber der ökologischen Gemeinschaft

Je komplizierter und gegliederter eine Harmonie ist, desto mehr Schulung ist nötig, um sie wahrnehmen zu können. "Alles neu macht der Mai", mit einem Finger auf dem Klavier gespielt, versteht jedes Kind, das volle Verständnis einer Beethoven-Symphonie erfordert musikalische Schulung. Eine Rose findet jeder schön. Um die Harmonie einer im biologischen Gleichgewicht befindlichen Landschaft voll zu empfinden, muss man schon lange Zeit auf dem Lande gelebt haben und viele Landschaften gesehen haben. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass nur die völlig unberührte Natur schön sein kann. Selbstverständlich ist eine ganz wilde Landschaft, an der der Mensch noch gar nichts geändert hat, immer wunderschön, eben weil sie in harmonischem Gleichgewicht in sich ruht. Diese ökologische Harmonie kann aber auch in einer Kulturlandschaft obwalten: dort, wo der bäuerliche Mensch die Erde liebt und ihr gewissenhaft das zurückgibt, was er ihr berechtigtermaßen genommen hat. Der Mensch kann durchaus Teilhaber der großen ökologischen Gemeinschaft auf unserem Planeten sein.

Hässlich wird eine Landschaft in dem Augenblick, wo der Mensch Raubbau treibt. In Amerika war es bis vor kurzem üblich, Felder auszubeuten und danach weiterzuziehen und neue zu bebauen. Unglaublich schnell ist dann die Ackerkrume weggeblasen und das davongeflogen, was dem Menschen Brot gibt.