Verwandlungskünstler
Nicht nur, dass sie viele Tausende von Kilometern zurücklegen, um vom Schlüpfplatz zu ihrem Lebensraum und dann wieder zurück zu kommen. Sie wechseln währenddessen auch mehrfach ihre Gestalt.
Flussaale schmecken gut. Außerdem sind es biologisch bemerkenswerte, ja sonderbare Lebewesen. Kein Mensch sah sie je Eier legen oder ihre Larven aus den Eiern schlüpfen. Die größten Flussaal-Larven hielt man bis vor rund 80 Jahren sogar für eine eigenständige Fischart. Das ist kein Wunder: Aale leben hauptsächlich im Süßwasser. Aber sie wandern als ausgewachsene Tiere Tausende von Kilometern ins Meer zum Laichen; die Larven wandern denselben Weg zurück ins Süßwasser.
Schon im Altertum waren die Aale genauer: die Europäischen Flussaale geschätzte Speisefische. Man fing sie, wie auch heute noch, überall an den europäischen Meeresküsten und in den Binnengewässern. Doch niemals fand man ein Weibchen mit Eiern oder ein Männchen mit Spermien. Niemals sah man Aale laichen. So schrieb man ihnen phantastische Entstehungsweisen zu. Sie sollten direkt aus dem Bodenschlamm der Gewässer stammen oder von anderen Tieren - Würmern oder Fischen - gezeugt werden.
Diese Ansichten konnten ernsthafte Forscher nicht so ganz befriedigen - zumal schon 1777 bei Aalen die Anlagen zu Eierstöcken und 1837 auch zu Hoden entdeckt worden waren. So ging die Suche nach den Jugendstadien der Aale weiter.
Der erste Nachweis glückte zwei italienischen Fischforschern. Sie hielten eine seit Jahrhunderten bekannte, weidenblattähnliche Fischform in Aquarien; die Fische wurden Leptocephalus brevirostris genannt. In den Jahren von 1893 bis 1896 konnten die Forscher nun zu ihrem großen Erstaunen mehrmals beobachten, wie sich diese Fische in junge Aale verwandelten. Der Schluß lag nahe: Der "Weidenblattfisch" war gar keine eigenständige Art, sondern die Larvenform des Europäischen Flussaales.
Doch der nächste Irrtum wartete schon. Weidenblatt-Larven wurden in der Straße von Messina (zwischen dem italienischen Festland und der Insel Sizilien) gefangen. Von dort kannte man aber auch ausgewachsene Aale mit Eierstöcken und Hoden. So schlossen zwei andere italienische Wissenschaftler messerscharf, dass die aus den Flüssen abwandernden Aale in den Tiefen der Straße von Messina ablaichten und sich dort auch die Aallarven entwickelten. Für die Fortpflanzung und Entwicklung der Flussaale an den europäischen Atlantikküsten hatte man damit indessen noch keine Erklärung.