Fallschirmspringer
Eichhörnchen wirken herzig. Außerdem sind sie ausgezeichnete Kletterer, wagemutige Springer und vorratsbedachte Hauswirte mit mehreren Wohnungen und zahllosen Speisekammern.
Wir hatten, es ist 60 Jahre her, einen guten Naturkundelehrer, der uns in Botanik und Zoologie unterrichtete. Er wusste Selbsterlebtes einzuflechten, wenn er mit uns über Tiere und Pflanzen sprach. So erzählte er von einem Eichhörnchen, das gefangengehalten wurde "wider alle Regel von Natur und Moral", wie er es ausdrückte.
Man denke, so malte er uns den Fall aus, dieses anmutige Lebewesen, zierlich von Gestalt, mit rötlichem Fell und buschigem Schwanz, possierlich in den Baumästen turnend oder auf grünem Rasen und auf dem Waldboden umhertollend, ein spaßiges Kerlchen, wenn es vor den Augen eines nahen Betrachters eine Nuss oder eine andere Baumfrucht zwischen den Pfoten hält und mit den Zähnen benagt ... Man denke, ein Wildling und Springinsfeld von gänzlich unverdorbener Art wird seiner Freiheit in den Wipfeln beraubt und eingesperrt in die Enge menschlicher Behausung!
Auf einem alten Kleiderschrank in einem Bauernhaus hatte man dem Waldbewohner - vielleicht gerade weil er dem Menschen gegenüber so wenig Scheu zeigt - eine Bleibe hergerichtet aus Laub und Stroh. Und man meinte, es sei alles gut so, wenn nur das Eichhörnchen regelmäßig und reichlich sein Futter bekäme. Bei einem Allesfresser schien dies kein Problem. Oder doch? Unser Lehrer machte uns den Fall schonungslos klar: Das Eichhörnchen wurde von der menschlichen Behandlung und Zuneigung - schlicht gesagt - zugrunde gerichtet.
Das Tier fraß sein Futter und nagte nebenher unaufhörlich mit seinen steilgewachsenen Zähnen an den Holzkanten des Kleiderschranks. Es nagte, nagte und zernagte rundum die Ränder seiner Lagerstätte. Die Späne flogen wie an einer Hobelbank - zum Verdruss der Hausleute. Doch half dem Gefangenen sein verzweifeltes Nagen am weichen Tannen- oder Fichtenholz des Schrankes gar nichts. Seine Zähne wuchsen weiter, sie schliffen sich nicht ab, wie es bei einem Nager vorgesehen ist. Sie wuchsen vom Oberkiefer zum Unterkiefer und umgekehrt, sie wuchsen übereinander; am Ende blockierten sie sich gegenseitig. Damit war das Schicksal des Eichhörnchens besiegelt - es musste verhungern, weil es mit seinen untauglich gewordenen Zähnen keine Nahrung mehr zermalmen konnte.
Obwohl, ja gerade weil man dem Tier zuvor sorgfältig geöffnete Hasel- und Walnüsse reichlich angeboten hatte, verendete es eines Tages. Es musste sterben als Folge falsch verstandener Fürsorge und menschlicher Tierliebe, die keine ist, wenn sie unwissend den Regeln der Natur zuwiderhandelt.