Das verderblichste Tier des Nordens
Immer schon gibt es um die Luchse Streit. Es sind Raubtiere, und sie sind gefährlich! rufen einige Jäger. Die Luchse könnten Spaziergänger gefährden - und sie schlagen neben Füchsen und kleinen Tieren natürlich auch jagdbares Wild, vor allem Hasen und Rehe.
Sie sind völlig ungefährlich und tun dem Gleichgewicht im Wald nur gut! sagen dagegen die Naturschützer. Unter anderem seien sie gerade deshalb so nützlich, weil sie Wild schlagen. Vor allem die Rehe würden in den Waldungen durch zu starken Verbiß viel Schaden anrichten. Die Luchse aber würden "dazu beitragen, den übermäßigen Rehwildbestand zu dezimieren und durch Beunruhigung das Rotwild vom konzentrierten Verbeißen und Schälen seltener Baumarten abhalten".
Der Luchs ist ein Raubtier, gewiß. Er ist tatsächlich die größte Katze, die in den letzten Jahrhunderten bei uns heimisch war. Aber ist er gefährlich?
Die Mehrzahl der Zoologen erklärt übereinstimmend: Für Menschen nicht. Zwar stand noch 1898 im "Großen Brockhaus": "Der europäische Luchs ist das verderblichste Tier des Nordens!" Man schilderte ihn als "blutdürstigen Reißer", der blindwütend tötet - weit mehr, als er verzehren kann.
Und noch vor siebzig Jahren konnte man lesen. "Beim Angriff zeigt sich seine ganze unzähmbare Wildheit. Oft gerät er vor Blutdurst in Raserei. Es sind Fälle aus alten Schriften bekannt, wonach ein Luchs in einer einzigen Nacht dreißig Schafe tötete. Einer, der im Sommer des Jahres 1814 in den Alpen sein Unwesen trieb, vernichtete sogar einhundertsechzig Schafe und Ziegen!"
Moderne Zoologen lächeln nur gequält über solche Behauptungen und verweisen sie ins Reich der Fabel. Doch auch in manchem jüngst gedruckten Tierbuch kann man noch lesen, dass Luchse nur blutfrische Nahrung vertragen und niemals Aas anrühren. Neuere Beobachtungen besagen jedoch, dass der Luchs durchaus nicht nur frisches Fleisch frißt. Und eins ist auf jeden Fall sicher: Er tötet nicht aus Mordgier, sondern nur, wenn er Hunger hat. Was er nicht auf der Stelle fressen kann, betrachtet er als Vorrat: er kehrt immer wieder zu seiner Beute zurück.