Organe nach dem Prinzip der Leidener Flasche
Humboldt hatte mit dem Instinkt des geborenen Forschers wie selbstverständlich die richtige Erklärung gefunden: Die elektrischen Organe des Zitteraals - überhaupt aller elektrischen Fische - arbeiten nach dem Prinzip der Leidener Flasche: kontinuierliche Aufladung verschieden gepolter Platten und blitzartige Entladung.
Zunächst muß das eine festgehalten werden: Der Zitteraal ist - wie Humboldt sehr schnell merkte - gar kein Aal. Er ist ein Karpfenfisch mit einem überaus langen Schwanz. Die normalen Organe - Magen, Därme, Leber, Nieren drängen sich im ersten Achtel des Körpers zusammen. Der Rest - eben im Schwanz - ist reines Kraftwerk. Vor hundert Jahren war das Interesse an der Elektrizität und ihren vielen neuentdeckten Möglichkeiten unter Wissenschaftlern jeglicher Richtung besonders groß. Daher kommt es, dass man sich schon damals sehr genaue Vorstellungen vom Funktionieren der elektrischen Organe machte. So war sich auch Humboldt schon ziemlich sicher was man heute ganz genau weiß -, dass die elektrischen Zellen aus umgebildeten Muskeln bestehen. Eine heute allgemein akzeptierte Theorie besagt, dass jede Muskelbewegung von elektrischen Strömen gesteuert wird, die man mit feinen Instrumenten auch durchaus messen kann. Als Leitungen dienen die Nervenfasern. Beim Zitteraal und den anderen Elektrofischen haben sich die Muskelzellen im Lauf der Entwicklung umgebildet: Anstatt die elektrischen Impulse in Bewegungen umzusetzen, wurden sie fähig, diese zu speichern.
Beim Zitteraal und den anderen elektrischen Fischen sind die Muskelzellen in den Elektro-Organen zu winzigen Kondensatoren umgebildet, die jeweils aus zwei einander gegenüberstehenden Scheibchen bestehen. Die eine Scheibe ist verhältnismäßig glatt, die andere unregelmäßig aufgefasert. Die Scheibchen sind mit Nervenfasern verbunden, die ihrerseits im Gehirn münden. Von dort stammt die elektrische Energie, mit der die elektrischen Zellen aufgeladen werden: Nur das eine der beiden Plättchen bekommt Elektronen zugeführt. So entsteht zwischen den beiden Scheibchen eine "Potentialdifferenz", wie Elektriker das nennen. Anders ausgedrückt: eine elektrische Spannung.
Die Frage ist nun: Wie hoch ist diese Spannung? Wie stark ist der Strom, der fließt? Anders gesagt: Wie gefährlich kann der Zitteraal dem Menschen werden? Eine Forschergruppe, zu der ich gehörte, bekam den Auftrag, dies zu untersuchen. Wir mußten uns dabei auf die bisherigen Meßergebnisse stützen. Was herauskam, war von den Zahlen her zwar alles andere als eindeutig, insgesamt aber recht imponierend: Dies Wasser-Kraftwerk namens Zitteraal darf keineswegs unterschätzt werden.
Die elektrischen Zellen des Zitteraals sind mikroskopisch klein. doch die Spannung, die aufgebaut wird, beträgt 0,1 bis 0,15 Volt - je nachdem, welchen von den bisher vorliegenden Meßwerten man glauben will. Wie die Zellen in einer Autobatterie hintereinandergeschaltet sind, so sind auch bei den Elektrofischen die Zellen geschaltet und zu Säulen zusammengepackt. Dadurch erhöht sich die Spannung gewaltig.