Sie sind weder falsch noch grausam

Daß man Riesenschlangen Falschheit und Grausamkeit nachsagt, ist ein menschliches Vorurteil.

Reptilien
Riesenschlange

Sie überwältigen ihre Beute weder grausamer noch unmoralischer als irgendein anderes Raubtier. Alles geht blitzschnell vor sich. Die Schlange liegt bewegungslos wie eine aufgerollte Stahlfeder bereit, den Vorderkörper in einer S-förmigen Stellung leicht angehoben. Nur die lange, schwarze, an der Spitze zweigeteilte Zunge schnellt hin und wieder hervor, um zu wittern. Schlangen haben zwar Nasenlöcher, nehmen aber zudem mit der Zunge Duftstoffe auf. In der Mundhöhle führen sie die Zungenspitzen an das "Jacobsonsche Organ", das etwa die Funktion einer zusätzlichen Nase hat und die Duftstoffe identifiziert.

Riesenschlange

Sobald sich die Beute genügend genähert hat, schnellt sich ihr der Vorderkörper der Schlange entgegen, und der weit aufgerissene Rachen packt das Tier mit nadelfeinen, nach hinten gerichteten Zähnen. Gleichzeitig zieht die Schlange mehrere Körperringe um das Opfer, so dass es sich nicht mit Zähnen und Krallen zur Wehr setzen kann. Das Beutetier kann meist nur noch kurz zappeln. Bei jeder Bewegung seines Körpers, bei jedem hechelnden Atemstoß zieht sich der Schlangenkörper fester um das Opfer. (Danach hat die Boa constrictor ihren Namen: Zusammenschnürende Schlange.) Die Luft wird abgedrückt und der Blutdruck im Gehirn des Opfers steigt, wodurch die Beute schnell ohnmächtig wird.

Riesenschlange

Wenn dann die letzten Zuckungen vorüber sind, lässt die Schlange ihr Opfer los, um es nach längerem Bezüngeln erneut beim Kopf zu packen und langsam "mit dem Haarstrich" zu verschlingen. Alle Schlangen haben frei bewegliche Ober- und Unterkiefer, die durch sehr elastische Sehnen miteinander verbunden sind. Außerdem hat die Schädelkapsel keine feste Verbindung mit den Knochen des Oberkiefers so kann eine Schlange ihr Maul sehr weit öffnen.

Sobald der stärkste Teil der Beute, die Körpermitte, hinuntergeschlungen ist, rutscht der Rest schnell nach. Der Körper der Schlange quillt deutlich dort auf, wo sich die Nahrung gerade befindet. Dann bringt die Räuberin ihre Kieferknochen durch eine Art Gähnen wieder in die ursprüngliche Lage zurück und widmet sich anschließend mehrere Tage in größter Trägheit der Verdauung.

Riesenschlange

Eingeborene behaupten oft, dass die einzige empfindliche Stelle am Körper einer Riesenschlange die Schwanzspitze sei. Wenn man von einem derartigen Ungeheuer umschlungen wird, so soll man es aus Leibeskräften in den Schwanz beißen, worauf es sofort losläßt. An dieser Behauptung ist zumindest eines richtig: Wer in den Schlingen einer Riesenschlange liegt, die sich stets im Körper des Opfers festbeißt, kann nur von der Schwanzspitze her beginnen, die Umklammerung abzuwickeln. Falls er dazu noch genügend Puste hat.