Mit dem Rotationstrick in Seide gefesselt

Unsere Kreuzspinne, die in der oberen Ecke des Türrahmens ihr Netz gespannt hatte, war so vertraut geworden, dass ich sie von Hand füttern konnte.

Ich brauchte nur eine Fliege zwischen die Fingerspitzen zu nehmen und sie vorsichtig am Telefonfaden strampeln lassen, da rannte Aranea auch schon vom seidenen Büro herunter und nahm mir die Morgengabe ab. Allerdings nur, wenn sie hungrig war. Sonst ließ sie mich die Fliege ruhig ins Netz setzen und kam dann mal gelegentlich vorbei, um das Insekt einzuspinnen und in der Speisekammer zu deponieren. Dieses Einspinnen der Beute ist ein aufregender Trick, der es der Spinne ermöglicht, auch große Insekten zu bewältigen. So große sogar, wie sie unsere Aranea gar nicht verzehren mag. Einmal flog ihr ein ausgewachsener Maikäfer ins Netz. Er drohte die ganze Fangeinrichtung durch sein Strampeln zu zerfetzen. Aranea kam im Eilmarsch zur Stelle und ließ sofort ein seidenes Breitband aus allen Spinnrohren schießen. Dieses Band bildete eine Zwangsjacke, aus dem sich der Maikäfer nicht mehr befreien konnte. Allerdings ist, um diese Totalfesselung zu erreichen, noch ein weiterer Trick nötig: Aranea muß nämlich der im Netz zappelnden Großbeute mit einem Fuß geschickt einen Tritt versetzen, damit das Insekt zu rotieren beginnt und die Breitbandfessel sich rundum legt. Man muß sagen: das sind raffinierte und intelligente Handlungen.

Niemals ließ sich unsere Haus-Kreuzspinne herbei, am Tag Löcher in ihrem Netz auszubessern. Hatte sie Beute gemacht und war satt, ließ sie Kunst Kunst sein und verschlief die Zeit in ihrem Seidenkämmerlein. Erst in später Nacht machte sie sich daran, die beschädigten Spiralfäden aus dem Speichengespinst zu nehmen, diese aufzufressen und durch neue zu ersetzen. Kam die Morgensonne herauf und flogen mit ihr die ersten Morgeninsekten, glänzte stets ein neues Netz in unserem Türrahmen.

Sprechen wir noch über die Spinnenliebe? Ganz klar, dass Aranea auch auf diesem Gebiet ihre Kapriolen macht und aus der Rolle ordentlicher Liebhaberinnen fällt. Es ist hanebüchen, was sich da abspielt und wie lebensgefährlich sich die Kreuzspinnenfreier ihrer Dame nähern müssen. Spinnenmännchen besitzen übrigens kein eigentliches Kopulationsorgan. Sie fangen ihr austretendes Sperma in einem kleinen Gespinst auf, füllen damit ein Bläschen am Ende der Kiefertaster und übertragen es dem Weibchen in seine Gechlechtsöffnung. Der kleine David hat sich aber der erwählten Riesendame äußerst vorsichtig zu nähern und erst schüchtern zu klingeln, bevor er erfährt, ob er genehm ist. Er klingelt, indem er vorsichtig an einem Faden im Netz zupft. Dieses Zupfen muß in spinnentypischen Rhythmen geschehen, damit es sich vom Strampeln einer Beute gut unterscheidet, sonst wäre das Männchen noch vor der Hochzeit des Todes. Er zupft also seinen Geheimcode am Faden. Aranea tänzelt, wenn sie hochzeitslüstern ist, herunter und lässt sich von dem Liliputaner schöntun. Die Sache muß entschieden rasch vorangetrieben werden. Bei Aranea darf keine Langweile aufkommen, weil sie sonst den Gatten auf der Stelle verzehren würde. Dieser muß sich nach den Anstrengungen zur Erhaltung der Art auf der Stelle davonmachen und verschwinden. Hat er Glück, ist seine Partnerin satt und lässt von einem Angriff ab. Verlaß ist darauf aber keineswegs.

Meine Schwiegermutter hatte wohl doch recht, dass sie Aranea keines Blickes würdigte. Spinnen haben nichts Edles, nichts Erhebendes, auch kaum Schönes an sich. Und auch in der Liebe geht ihnen gutes Benehmen völlig ab.

Spinnen