Eier wie Spargelstangen

Auf einer Exkursion im Mai fanden wir das Gelege einer Mantis. Unter einem alten Brett war das Eipaket angesponnen. Die länglichen Eier stehen wie Spargelstangen in der Dose nebeneinander, hundert Stück und noch mehr.

Bei der Ablage werden sie mit einer schleimigen Flüssigkeit umgeben, die an der Luft erhärtet. So entsteht das feste, etwa zwei Zentimeter lange, anderthalb Zentimeter breite und ein Zentimeter hohe Paket. Wir lösten es vorsichtig von der hölzernen Unterlage ab und nahmen es in einem Glas mit nach Hause. Wir hatten Glück - nach fünf Tagen saß morgens eine winzige, einen halben Zentimeter lange und spindeldürre Mantis auf dem Kokon. Im Gegensatz zu Käfern und Schmetterlingen, deren Larven den ausgewachsenen Tieren überhaupt nicht gleichen, sehen die Larven der Gottesanbeterinnen den Alten schon ganz ähnlich. Sie besitzen auch bereits die "betenden Hände", nur noch keine Flügel.

Wir konnten nun beobachten, wie im Glase ein Zwerg nach dem anderen aus dem Eipaket schlüpfte und danach eilig das Weite suchte Die Kleinen sind genauso gierige Räuber wie die Alten und schlagen mit ihren Fangbeinen nach allem, was sich bewegt - auch nach ihren Geschwisterchen. Würden sie einander erwischen, fräßen sie sich gegenseitig auf. Man kann sie darum nicht zusammen aufziehen, schon gar nicht in einem engen Glas. Auch hatten wir kein geeignetes Futter, zum Beispiel eine Essigfliegenzucht, um einzelne großzuziehen. So setzten wir sie schleunigst auf einem Brachgelände in der Nähe aus.

Am 6. September kamen wir wieder dorthin. Ich will versuchen, unsere Beobachtungen niederzuschreiben, wenn uns auch immer noch in Gedanken an das Geschehen ein Schauder über den Rücken läuft. Gewiß, wir kannten aus der Literatur die Angabe: "Mitunter frißt ein Weibchen sein eigenes Männchen auf." Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, solches zu lesen oder dieses grausige Drama von Anfang bis Ende mitzuerleben.

Warum wir nicht eingegriffen und das Entsetzliche verhindert haben? Weil wir uns bewußt waren, dass wir hier Zeuge von naturgesetzlichen Vorgängen waren, die man einfach nicht vermenschlichen kann, wenn wir auch versucht sind, immer wieder Parallelen zu ziehen.

Es fing ganz harmlos an: Wir gingen mit unserer Film- und Fotoausrüstung zu dem Brachland, auf dem wir im Frühjahr die kleinen Gottesanbeterinnen ausgesetzt hatten. Würden wir eine wiederfinden? Sie müßten jetzt ausgewachsen sein. Die Sonne schien sehr warm, und es war verhältnismäßig windstill. Bei etwas Glück würden wir sicher ein paar Aufnahmen von den Tieren, von ihren Fangbeinen und dem eigenartigen Kopf machen können. Vielleicht würde eine Mantis auch eine Beute aus unserer Hand nehmen, und wir könnten das Zupacken filmen.

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