Liebevolle Beißzange

Den Ehemann frißt sie, aber ihre Kinder trägt sie auf Händen. Besser gesagt: Auf dem Rücken. Die Tarantel ist eine seltsam fürsorgliche Mutter. Und so giftig, wie meist abgenommen wird, ist sie gar nicht.

Tarantel
Spinnen

In einem Steinbruch bei der spanischen Stadt Toledo. Ich wollte Perleidechsen fotografieren und kontrollierte jedes Loch im Boden nach Einschliefspuren. Man hockt da auf den Knien und untersucht die Eingänge der unterirdischen Behausungen aus nächster Nähe. Ich erzähle dies nur, um den Eindruck zu schildern, den die erste Begegnung mit einer Tarantel hinterläßt.

Es war ein Loch von etwa Zweieurostückgröße, eigentlich viel zu klein für eine Perleidechse, und ich schaute auch nur aus Routine und ziemlich gedankenlos aus drei Zentimeter Entfernung hinein. Es war dunkel da drin - trotzdem glaube ich, dass meine Schrecksekunde niemals kürzer war als in diesem Augenblick: Meine Nase fuhr zurück, wie von der Tarantel gebissen (was sie Gott sei Dank nicht war). Aus dem Dunkel der Erdröhre blitzten mir zwei Diamanten mit grünlichweißem Feuer entgegen. Ich war erschrocken und hatte keine Ahnung, was für ein Tier das sein könnte, das einen mit leuchtenden Augen regungslos anblickt. Später wußte ich es: Taranteln haben acht Augen - vorn zwei große, darunter vier kleine und seitlich am Oberkopf noch einmal zwei kleine Augen. Von den acht leuchten aber nur die vorderen zwei; sie reflektieren einfallendes Licht. Natürlich nahm ich damals meine Taschenlampe und leuchtete in den Höhleneingang. Die Tarantel hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Da hockte sie und saugte mümmelnd an einem schlappen Gebilde, das, wie sich später herausstellte, einmal ihr Liebhaber und erfolgreicher Gatte gewesen war. Erfolgreich allerdings nur in der Liebe. Nach gehabter Lust war er wohl ein wenig nachdenklich gewesen und nicht sofort aus dem Ehegemach geflüchtet. Tarantelweiber suchen aber stets doppelten Vorteil aus ihren Liebhabern zu ziehen. Nachher haben sie die Kerle zum Fressen gern (so wie auch Kreuzspinnen oder Gottesanbeterinnen). Es gibt also für ein Tarantelweib nur zwei Möglichkeiten, ihre Vermählung anzuzeigen: Entweder als verlassene Frau (wenn der Mann schnell genug war) oder als Witwe (was ihr lieber ist).