Tarantel-Männchen leben gefährlich
Natürlich ist Lycosa eine Räuberin, doch ist zu vermerken, dass sie nur soviel Beute fängt, wie sie gleich fressen kann.
Da sie als Wolfsspinne für Beutefang keine Seide zur Verfügung hat, um, wie es unsere Kreuzspinne tut, gelähmte Beute gefesselt als Vorrat hinzulegen, muß sie töten und die Opfer entweder sofort oder drunten in ihrem Bau verzehren. Sie tut dies nicht, indem sie Stücke abbeißt und verschluckt; die Tarantel speist wie alle Spinnen, indem sie Verdauungssaft in die Wunden einfließen läßt, der die Weichteile des Opfers so auflöst, dass es ganz ausgesogen werden kann und am Ende nur noch die Haut wie ein leerer Handschuh übrigbleibt.
Damit sind wir wieder bei jenem Hochzeitsdrama, dessen tragisches Ende ich im Steinbruch bei Toledo vorgefunden hatte; dem kleinen Tarantelmann war es nicht gelungen, seine Braut im Galopp zu verlassen. Er war Opfer jenes Stimmungsumschwungs der Tarantelin geworden, mit dem ein Spinnenmann immer rechnen muß. Nur wenn die Dame sehr von der Kurz-Hochzeit beeindruckt ist, vergißt sie für kurze Zeit ihren Hunger, doch kann diese Gutmütigkeit jederzeit umschlagen, besonders dann, wenn der Bräutigam seine Dame noch nüchtern angetroffen hat. Es muß hier, der zoologischen Akkuratesse wegen, ganz kurz auf die Liebesbräuche der Spinnen eingegangen werden, damit klar wird, in welcher Gefahr sich das werbende Männchen permanent befindet.
Das Tarantelweib verläßt, wenn ihr danach ist, das für eine Hochzeit zu enge Erdloch und wartet draußen auf einen Bräutigam. Man nimmt an, dass das Männchen von einer Duftspur angelockt wird, die das Weibchen auf dem Boden hinterläßt. Wenn dann der Freier eingetroffen ist, darf er sich beileibe nicht kurzerhand der Dame nähern, sondern muß durch optische Signale, die er winkend mit den Vorderbeinen bewirkt, seine Ankunft mitteilen. Würde er das unterlassen, wäre er schon vor der Hochzeit tot. Da der Spinnenmann kein Geschlechtsorgan besitzt, das beim Weibchen eingeführt werden könnte, sondern nur eine Körperöffnung, die sein Sperma entläßt, muß er vor der Brautwerbung eine notwendige Prozedur erledigen; mit den "Kölbchen", den verdickten Spitzen seiner Kiefertaster, nimmt er das Sperma auf und ist erst dann hochzeitsfertig. Die gleichen Kölbchen muß er nun in die Geschlechtsöffnung des Weibchens unten am Bauch einführen, damit die Befruchtung der Eier im Weibchen stattfinden kann. Daß der Hochzeiter bei diesen Manipulationen nicht pausenlos auf der Hut vor dem Weibchen sein kann, liegt auf der Hand.
Sei sie nun Witwe oder nur geschieden die Tarantelin wird von diesem Tage an zunehmend dicker und schwerfälliger. Sie versucht gar nicht mehr, schnellen Insekten nachzurennen, sondern nimmt nur, was gerade an ihr vorbeikommt. Nach zehn Tagen ist sie so gewaltig angeschwollen, dass sie ihre Niederkunft vorbereiten muß.