Wer sie tötete, wurde verachtet
In vielen Geschichten werden in Seenot Geratene an Land getragen. Auch spielen Delphine mit Badenden am Strand, ja sie verlieben sich in Knaben, denen sie ans Land folgen, um dort zu verenden.
Da der Delphin in der Antike ein so hohes Ansehen genoss, wurde er nicht gejagt und spielte auch in der Heilkunde keine Rolle. Man verachtete die Barbaren, die ihn töteten, um sich seinen Lebertran einzuverleiben. Warum eiserne Delphine bei den olympischen Spielen die Runden der Langläufer anzeigten und bei anderen Wettkämpfen als Startzeichen verwendet wurden, weiß ich nicht zu deuten.
Die Zuneigung der Alten zu den Delphinen ging so weit, dass das Tier dem Menschen gleichgestellt, mit seinen vorbildlichen Tugenden gar über ihn gesetzt wurde. Dies geschah jedoch erst in der römischen Kaiserzeit; es ist eine typische Späterscheinung der antiken Kultur. Wer glaubt, dass sich die Ereignisse der Geschichte gleichnishaft wiederholen, der hat anhand unserer modernen Neigung, das Tier zu vermenschlichen, einen Anhaltspunkt, um die Betagtheit unserer westlichen Kultur zu bestimmen.
Offenbar können wir nur in Extremen denken. Ein paar hundert Jahre lang waren Wale und Delphine nichts als "Trantiere", an denen uns einzig interessierte, wieviel Gallonen oder Tonnen Öl sich pro Tier und pro Fangsaison ernten ließen. Heute dagegen - wenn man den Illustrierten glauben darf - ist zumindest der Delphin auf den Ehrenplatz eines "Bruders im Meer" aufgerückt. Ein höchst erstaunlicher Wandel, selbst wenn man gleich vorwegnimmt, dass es nicht "den" Delphin gibt, sondern etwa 50 verschiedene Arten. Sie gehören alle zu den Zahnwalen, die meist nur mäßig groß werden. (Mit den zum Teil riesig großen Bartenwalen, den ehemaligen Hauptopfern des kommerziellen Walfanges, sind sie nur sehr entfernt verwandt.) Untereinander sehen sich die Arten relativ ähnlich. In den seit einigen Jahrzehnten in Mode gekommenen Ozeanarien, Delphinarien oder Forschungsstationen sind sie meist durch den Großen Tümmler (englisch: bottle-nosed dolphin, wissenschaftlich: Tursiops truncatus) vertreten. Dieser Große Tümmler ist es, um den es sich hier handelt und den der amerikanische Neurologe Dr. Lilly für so begabt hielt, dass er ihm die englische Sprache beibringen wollte ...
Vielleicht spüren Sie schon nach diesen ersten Sätzen ein wenig Skepsis im Hintergrund. Lassen Sie mich nur gleich gestehen, dass ich einen Berg-Gorilla aus dem Kongo oder ein Baumkänguruh von Neu-Guinea in ihrer Art nicht weniger interessant als einen "Flipper"' finde, also nicht geradezu das bin, was man einen Delphin-Fan nennen könnte. Andererseits bin ich sicher nicht ganz unschuldig daran, dass im Zoo Duisburg das erste und lange Zeit einzige Delphinarium im Binnenland Mitteleuropas entstand. Natürlich könnte ich auch mancherlei davon erzählen, wie ich mit eigenen Händen die Weißen Wale der Arktis (die ja nichts anderes sind als etwas groß geratene pigmentlose Polardelphine) im eisigen Wasser Nordkanadas fing, genauso, wie ich später in der warmen Lehmbrühe des venezolanischen Orinokos die ersten Toninas oder Süßwasserdelphine fing, die jemals lebend nach Europa gelangten; mit Schnurrhaaren und nach allen Seiten beweglichem "Entenschnabelkopf" erinnern sie noch ganz an die alte Landtierherkunft der Wale. Kurzum: In Sachen Delphin bin ich nicht ganz unbeleckt.
Trotzdem hat mich, als ich das erstemal der Sektion eines durch Besucher-Unvernunft verunglückten Tümmlers beiwohnte, nicht so sehr die Tatsache beeindruckt, dass aus dem langschnäbeligen, mit 88 spitzen Zähnen armierten Schädel ein so phantastisch hoch entwickeltes, "menschlich" wirkendes (und absolut gemessen sogar noch über Menschenverhältnisse großes) Gehirn zutage trat. Es war vielmehr die Frage, warum eigentlich ein Delphin einen derartig komplizierten Denkapparat mit sich herumträgt. Ein gut dressierter Delphin zeigt in der Regel - auf seine Weise natürlich! - nichts anderes, als was ein gut dressierter Haushund auch zeigt oder zeigen könnte. Und zwar ohne dass wir dann gleich von unserem "Bruder in der Hundehütte" (oder unter dem Sofa) sprechen und die alsbaldige Herausgabe eines Hundewörterbuches ankündigen.
Ein gut dressierter Delphin springt exakt durch Reifen, fängt Bälle voller Präzision, singt oder gibt Laut auf Kommando und tut dutzenderlei mehr, was bei einem Foxterrier allenfalls freundlichen Applaus, beim Delphin aber tosende Beifallstürme auslöst. Warum? Ganz einfach deswegen, weil der Delphin das a) besonders elegant und exakt, b) außerdem im Wasser - einem uns Menschen nach wie vor ein wenig fremden und ein wenig unzugänglichen Element - tut und wir c) zumindest in unserem Hinterkopf immer noch heimlich Walfisch denken (obwohl uns schon hundertmal klargemacht worden ist, dass Wale und Delphine zu den Säugetieren gehören und nur in Anpassung an das ständige Wasserleben äußerlich Fischgestalt angenommen haben).