Nicht alles ist dummes Geschwätz
Dass Tiere sprechen können - das gibt's nur im Märchen. Und bei manchen Vögeln. Bei den Wellensittichen zum Beispiel. Wie kommt das? Und wie vernünftig ist das, was sie reden?
Meine Großmutter kam aus Russland. Deshalb hieß der erste Vogel, den sie mir schenkte. Popka - zu deutsch: "Papagei."
Popka war indessen keiner, sondern ein Wellensittich. Erst viel später brachte man mir bei, dass auch die Wellensittiche Papageien sind. Meine Großmutter war wieder einmal klüger gewesen.
Popka sollte sprechen lernen. Ich unterhielt mich stundenlang mit ihm, was er äußerst erfreut vermerkte, denn Wellensittiche sind gesellig und suchen den Kontakt. Aber die Konversation blieb einseitig. Doch nach einiger Zeit überraschte er mich mit einigen russischen Brocken, die er mit höchster Fistelstimme kundtat. Meine Großmutter hatte inzwischen ein kluges Buch gelesen, in dem stand, man müsse den Sprachunterricht mit den einfachsten Wörtern beginnen und täglich geduldig üben. Sie hatte die nötige Geduld.
Ich machte ein Lied auf die Widersetzlichkeiten meines Wellensittichs, das ich ihm beizubringen versuchte; aber über die ersten beiden Töne kam er nie hinaus. Das Lied fing mit seinem Namen an; den kannte er inzwischen, und er war auch bereit, ihn zu singen - mehr aber nicht.
Die Geschichte hat ein Happy-End, wenn auch keines, das meine Großmutter zufriedenstellte: Freunde schenkten uns eine Wellensittichdame, und fortan war Popka an allem anderen als am Sprechenlernen interessiert.
Inzwischen weiß ich, dass man einem Wellensittich nichts Besseres antun kann, als ihm eine Gefährtin zu geben. Möchte man ihn aber zum Sprechen bringen, so darf man ihm nicht den Weg zum Familienglück öffnen. Hingegen muss man sich dann viele Stunden am Tag mit ihm beschäftigen - sei es mit Sprechunterricht oder auch sonst. Ein Wellensittich braucht einen Partner (den der Pfleger - unvollkommen - ersetzen kann), am liebsten vierundzwanzig Stunden am Tag. Alles andere ist Tierquälerei.
Ich habe später noch viele Leute kennengelernt, die Wellensittiche besaßen, darunter ältere Damen oder Rentner, die viel Zeit aufwenden konnten, in herzlicher Eintracht mit ihrem Vogel lebten und ihm die erstaunlichsten Sprachkunststücke beibrachten. Es gibt Vögel, die sehr sprechbegabt sind, und andere, die auf diesem Gebiet ausgesprochene Stümper bleiben. Einige bewundernswerte Geschöpfe rezitieren ganze Gedichte, sagen Besuchern ohne Pause Schmeichelhaftes oder Unverschämtes und singen Opernarien in jeder Tonart. Ja, bei manchen gelingt das Kunststück, dass sie ein Lied, das sie kennen, genau an der richtigen Stelle fortsetzen, wenn man es anstimmt und dann - ganz beliebig - abbricht.
Wie kommt es, dass ein Vogel wie ein Mensch zu sprechen oder zu singen beginnt?
Es gibt dafür bis heute noch keine rechte Erklärung. In der Natur haben es Papageien oder Wellensittiche nicht nötig, fremde Laute nachzuahmen. Ihre Stimmwerkzeuge sind auch allenfalls darauf eingerichtet, andere Vogelstimmen zu imitieren, nicht aber die konsonantenreiche menschliche Sprache. Allerdings ist es nicht selten, dass Singvögel in ihr Lied die Singweise anderer Vogelarten aufnehmen. Buchfinken und Braunkehlchen. Neuntöter, Sumpfrohrsänger und manche andere Sänger imitieren munter ganze Strophen fremder Vogellieder; man nennt sie deshalb "Spottvögel". Aus Spott tun sie das freilich nicht. Was sie zum Nachahmen bringt, ist nicht sicher. Möglicherweise haben sie nur in der Jugend einen artfremden Lehrmeister erwischt und sind geschickt genug, die fremde Melodie nachzuflöten. Oder es gefielen ihnen bestimmte Strophen anderer Arten, die sie in ihren Gesang verwoben.