Das Tauziehen zwischen Amsel und Wurm

Auch diese Tätigkeit wirkt auf den Zuschauer belustigend. Wenn es sich um einen kleinen Wurm handelt, hat das Tauziehen ja bald ein Ende. Bei einem großen Wurm aber muß sich der Vogel anstrengen und nicht nur mit dem Kopf, sondern unter Zuhilfenahme des ganzen Oberkörpers ziehen.

Amsel

Der Wurm seinerseits setzt alle Kräfte ein, um sich nicht aus seiner Röhre zerren zu lassen. Er dehnt sich, wird länger und länger. Die Amsel muß sich bei ihren Bemühungen deshalb immer mehr aufrichten, bis Kopf und Oberkörper mit den schräg nach vorn gegen den Boden gestemmten Beinen schließlich eine gerade Linie bilden. Wenn der Wurm jetzt reißt oder, am Ende seiner Kräfte, den Widerstand plötzlich aufgibt, kann es vorkommen, dass die Amsel das Gleichgewicht verliert und beinahe umpurzelt.

Für den gefiederten Wurmfänger (vom Wurme ganz zu schweigen) ist der Vorgang absolut nicht komisch. Sicher ist er ein Erfolgserlebnis ersten Ranges. Der erbeutete Wurm wird mehrfach geklopft, zusammengelegt, zerteilt und zum Nest gebracht. Hier reißen alle Jungen unter leisem Gepiepse die Schnäbel auf. Aber nur eines bekommt den Wurm - und schon ist die Amsel wieder vom Nest geflogen.

So geht das Tag für Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Nach etwa zwölf Tagen verlassen die Jungen das Nest. Sie können zunächst noch nicht richtig fliegen, sondern nur flattern. Deshalb sind die Amseleltern jetzt besonders wachsam.

Das Amselvolk hat zahlreiche Feinde, die seine Reihen immer wieder lichten. Wäre das nicht der Fall, würde schnell eine Übervölkerung eintreten. Jedes Amselpärchen zieht pro Jahr, je nach den klimatischen Verhältnissen seines Wohngebietes, zwei bis drei und manchmal sogar vier Bruten auf. Bei einem Gelege von durchschnittlich vier Eiern ergäbe das eine jährliche Nachkommenschaft von acht bis 16 Jungamseln - von einem einzigen Pärchen! Man kann sich leicht vorstellen, dass ohne Dezimierung durch Feinde bei den Amseln bald ähnlich schwierige Verhältnisse herrschen würden wie beim Menschengeschlecht.

Während das Amselweibchen auf seinem zweiten Gelege sitzt, kümmert sich das Männchen allein um die Aufzucht der nun flugfähigen Jungen. Die Jungamseln können inzwischen auch schon recht gut allein Jagd auf Würmer und Insekten machen. Sobald sie aber ihre Erzeuger irgendwo erblicken, hüpfen sie mit erbarmungswürdigen Bettellauten hin und wollen gefüttert werden. Die Amseleltern tun dies auch pflichtbewußt eine ganze Zeitlang. Dann aber lässt die Bindung nach, und die Jungen werden selbständig.

Amseln gehören zu den "Teilziehern". Das heißt, dass ein Teil von ihnen im Herbst wegzieht, bis etwa ins Mittelmeergebiet, ein anderer Teil (besonders die Gartenamseln) aber bei uns bleibt. Auch nicht gut flugfähige oder verkrüppelte Tiere ziehen nicht weg. Sie bleiben auch im Winter in ihren Sommerquartieren.

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