Wenn sie Rotes sehen, sehen sie rot

Die verhältnismäßig hohen Beine weisen das Rotkehlchen als einen mit Vorliebe auf dem Boden lebenden Vogel aus.

Die großen, dunklen Augen sind dazu geschaffen, auch im lichtarmen Waldinnern noch Insekten wahrnehmen zu können. Die zartgrau gesäumte, rostrote Brust hat besondere Bedeutung. Anders als etwa beim Gimpelmännchen, dessen leuchtendroter Bauch lediglich zum Erkennen dient und keinerlei Signalwirkung hat, dient die Rostfarbe des Rotkehlmannes als eine für alle Nebenbuhler ernst zu nehmende Standarte, die anzeigt, dass das Revier besetzt ist. Der englische Forscher David Lack hat nach vielen Untersuchungen und Tests dem Rotkehlchen ein berühmt gewordenes Buch gewidmet, in dem dargetan wird. dass dieses rostrote Abzeichen Nebenbuhlern vorgezeigt wird.

Vögel

"Brust raus!" heißt die Devise für den Revierinhaber, wenn er ein anderes Rotkehlchenmännchen an der Grenze oder gar im eigenen Bereich antrifft. Ist schon der Gesang des Männchens keineswegs Ausdruck der persönlichen Freude oder Zufriedenheit, sondern vielmehr eine akustische Besitzanzeige für ein Revier von etwa sechs- bis achttausend Quadratmeter Fläche, so ist das Drohen mit der Brustfarbe als letzte Aufforderung aufzufassen, nun aber wirklich aus dem Revier zu verschwinden. Reagiert der Konkurrent nicht durch augenblicklichen Rückzug, fühlt er sich etwa bemüßigt, seinerseits "Farbe zu bekennen", so ist ein Angriff unvermeidlich.

Zeigt man einem Rotkehlchen einen ausgestopften Vogel seiner Art, so greift es das Präparat an, dass die Federn fliegen. Auch ein Büschel rostroter Federn oder ein Stückchen gleichfarbenen Stoffs löst die Aggression aus. Hier ist es einwandfrei die arteigene Rotfarbe, die den Auslöser spielt. Auf Blau oder Grün reagiert das Rotkehlchen nicht.

Es handelt anders als beispielsweise ein spanischer Kampfstier in der Arena, der das rote Tuch des Stierkämpfers aggressiv annimmt. Dort ist es aber nicht die Farbe Rot, die den Stier reizt. Er würde ebenso Gelb, Grün oder Blau angreifen, wenn man ihr solche Tücher vor der Nase schwenkte. Er reagiert auf die Bewegung, vor allem auf de Menschen zu Fuß, den er von seinen Weide gründen her nur beritten kennt. Gegen Farben ist das Rind weitgehend unempfindlich. Doch manche Fische, etwa die aggressiven Buntbarsche, sind auf arteigene Farbe ähnlich wie das Rotkehlchen festgelegt und greifen bemalte Attrappen genauso an. Wie beim Rotkehlchen, so dient die Aggressionsfarbe hier nicht nur dem Fernhalten von Nebenbuhlern aus dem eigenen Revier, sondern auch noch dazu, die eigene Art zu verbreiten. Denn die Jungtiere werden von Buntbarschen wie auch vom Rotkehlchen vertrieben, sobald sie die arteigene Farbe zeigen.

Rotkehlchen brüten bei uns zweimal, und oft läuft die Brutpflege zweigleisig: das Weibchen sitzt im zweiten Nest schon wieder auf neuen Eiern, während das Männchen noch die ausgeflogenen Jungen der ersten Brut versorgt. Leider werden die Kinderstuben der Rotkehlchen immer wieder vom brutschmarotzenden Kuckuck aufgesucht, der die beiden rotkehligen Eltern als Ammen für den gefräßigen jungen Gauch mißbraucht.