Sie nicken und knicksen und fliegen davon
Die Sachkenntnisse über den Storch sind in der Antike nicht zahlreich, aber größtenteils treffend. Dem Römer Plinius fiel es zum erstenmal auf, dass der Storch ein Zugvogel ist. Sehr gut sind seine Bemerkungen über Ankunft und Abflug der Störche.
Erst die neuere Tierforschung hat seine prägnante Feststellung bestätigt, man sehe nicht die Ankunft der Störche, sondern man bemerke nur, dass sie angekommen seien. In seiner Erzählung über das Storchengericht von Pythonos berichtet er, die Störche würden den zuletzt Angekommenen töten. Er meint damit wohl die Storchenkämpfe um den Nistplatz, bei denen es durchaus vorkommen kann, dass ein Vogel verletzt oder getötet wird. Übertrieben, aber nicht ganz falsch ist auch die Behauptung des Plinius, die Störche hätten keine Zunge. Der erwachsene Storch bringt als einzigen Laut tatsächlich nur ein heiseres Zischen hervor. Die Alten hielten sein Klappern für sein einziges Kommunikationsmittel.
Die Römer, denen die gastronomische und medizinische Verwertbarkeit der Tiere besonders am Herzen lag, konnten dem Genuss junger Störche nur kurze Zeit Geschmack abgewinnen. Die römischen Ärzte verschrieben Storchenfleisch - gegen Triefäugigkeit. Über die Triefäugigkeit unter den Römern möchte ich mich hier nicht weiter auslassen. Caesar jedenfalls war nicht triefäugig, sondern Epileptiker.
Wenn wir nun einen Sprung nach Norden wagen, so fällt uns in Deutschland zuerst die Benennung des Tieres auf. Hier konkurrierten lange Zeit die Wörter "Storch" und "Stork" (so noch heute im Holländischen, Schwedischen, Norwegischen, Englischen und - was am meisten zählt - in der Lutherbibel). Trotzdem ist hier der Fall eingetreten, dass sich Luther im 16. Jahrhundert mit diesem Namen nicht durchsetzen konnte, obwohl die Bayern ihm zur Seite standen.
In Deutschland wurde viel Lärm um diesen stattlichen Vogel gemacht. Hier war er dem Volk ans Herz gewachsen. Man möchte eine spitze Bemerkung fallen lassen, wenn man hört, dass sein "gravitätischer Gang" auffiel; doch kam den Leuten dieser Gang bisweilen auch lächerlich vor. So kennt man Ausdrücke wie "Er geht wie der Storch im Salat", die weite Verbreitung genossen.
Die Verehrung des Storches haben wir von der Antike übernommen, auch die Annahme, dass er seine Eltern pflege. Im Zeitalter der Altersheime ist diese Auffassung in Vergessenheit geraten. Wer wollte sich schon einen so unangenehmen Mahner halten? Dafür wird dem Storch seit geraumer Zeit die Fähigkeit zugeschrieben, die kleinen Kinder ins Haus zu bringen. Dass die Vorstellung vom Klapperstorch aber noch nicht so alt ist, zeigt die frühere Annahme, der Storch klappere, weil er sich wohl fühle - aus keinem anderen Grund. Noch Mörike konnte um die Mitte des 18ten Jahrhunderts dichten:
"Da klappern die Störche im lustigsten Ton,
sie nicken und knicksen und fliegen davon."
Woher der Volksglaube vom kinderbringenden Storch stammt, ist nicht auszumachen. Vielleicht daher, dass in einigen alten Liedchen Störche Kinder auf ihrem Rücken tragen. (Eine anzügliche Vermutung stützt sich auf die einstmalige Bezeichnung des männlichen Gliedes als Storch. Wenn also die Eltern den neugierigen Kindern versichern, der Storch bringe die Kinder, wären sie somit im Recht.) Auch die Behauptung, dass der Storch die Mutter ins linke Bein beiße, kann nicht weiter erklärt werden. Indessen glaubte man noch vor hundert Jahren, dass dort, wo Störche nisten, keine Wöchnerinnen sterben. Womit auch wir wünschen, dass - allem Pessimismus zum Trotz - Störchen und Wöchnerinnen noch ein langes Leben vergönnt sein möge.